Absolute Leseempfehlung! Vor der Lektüre hätte ich mich eher über Anette von Drost-Hülshoff lustig gemacht und sie in einen Topf mit anderen Lyrikern ihrer Zeit geworfen. Und hätte man mich gefragt, wer denn noch so ein Lyriker ihrer Zeit war, dann wäre ich schnell ins Schwimmen gekommen und hätte versucht das Thema zu wechseln.
Nach der Lektüre ist das nun anders. Denn Duve versteht es sehr schön, die Zeit um 1820 herum plastisch vor des Lesers Auge entstehen zu lassen. Da tummeln sich plötzlich Leute, von denen man schon gehört hat, die man vielleicht aber zeitlich nicht richtig eingeordnet hätte: die Brüder Grimm, Heinrich Heine, Hugo von Hoffmannsthal und dergleichen mehr. Ja, alles Männer.
Worum gehts es Duve? Um vieles gleichzeitig und trotzdem gelingt es ihr ganz famos, diese vielen Themen-Bälle in der Luft zu halten und damit zu jonglieren.
Da ist ein politischer Erzählstrang: Napoleon und das antinapoleonische Deutschtum. Aus heutiger Sicht muss man schon von Deutschtümelei und dumpfem Populismus sprechen. Einiges, was heute wieder hochkocht, wurde damals schon angerichtet und war damals schon fragwürdig.
Dann ist da ein Erzählstrang um die Männerdominanz der damaligen Zeit. Und wie deppenhaft-geckenhaft die Studierenden in Göttingen waren. Eher dumpf, als brilliant. Arrogant von sich überzeugt und nicht in der Lage, weibliche Dichterinnen neben sich zu dulden. Frauen sollen sticken und dergleichen. Duve führt die von sich selbst so überzeugten Nationaldichter vor, indem sie sie zu Wort kommen lässt mit ihren überkandidelten Reimereien.
Dann ist da noch ein Sittengemälde der Hungersommers 1816/1817, wo der Sommer und mithin die Ernte ausfiel, weil Vulkanasche den Himmel verdunkelte, es kalt war und regnete. Der Landadel verarmt, die Landbevölkerung verhungert. Und eine Reise nach Kassel wird zur abenteuerlichen Fahrt in eine andere Welt. Ganz wunderbar, die Beschreibung eines Tagesablaufs, wenn der Landadel sich einen Tag in Kassel die Zeit vertreibt.
Und dann natürlich noch das Drama um die Droste. Studenten, die sich für Wunder was halten, mobben die Droste weg aus der Öffentlichkeit. Drangsalieren sie um ein Exemple zu statuieren, weil sie einfach Lust dazu haben und … tja, weil sie es können. Fast schaffen sie es, den Menschen zu brechen. Ein Wunder, dass ihr Opfer doch noch mal das Haupt hebt und nach mehreren Jahren der Zurückgezogenheit endlich schreibt. Und damit in Erinnerung bleibt … besser als diejenigen, die ihr so übel mitspielten.
Ja, Duve ist parteiisch. Für die Droste und für Frauen, die sich gegen einen männerdominierte Welt stemmen. Sicherlich sieht sie in Droste-Hülshoff nur eine Beispiel für viel Frauen und sicherlich geht es ihr nicht „nur“ um die 1820er Jahre, sondern ganz stark auch um einen Beitrag für die heutige Zeit. Um das aktuelle Frauenbild. Gerade auch in den konservativen und erst recht in den rechtspopulistischen Kreisen.
Das Buch macht Spaß zu lesen. Es ist über weite Passagen richtig witzig geschrieben. Und es ist lehrreich ohne zu belehren. Das Buch ist einfach lesenswert!