Autoren lügen …

… sie sagen nie die ganze Wahrheit. Sie zerpflücken die Wahrheit, bis ein lesenswertes Bild entstanden ist. Ein Gruppenbild mit Dame zum Beispiel. Das kann noch so komplex sein, so komplex wie die Wirklichkeit ist es nicht, darf es nicht sein. Wollten wir das, dann sollten wir nicht lesen, sondern die Wirklichkeit selbst anschauen und uns darin verirren.

Der Autor macht es uns Lesern so viel einfacher, er nimmt die Wirklichkeit, die ein undurchdringlicher Steinblock ist. Und hämmert auf sie ein. Da fliegen die überflüssigen Brocken weg, unnötiges Material, das nur den Blick verstellt. Ganze Schicksale und Unmengen an menschlichen Beziehungen fliegen in den Dreck. Mit jedem weiteren Schlag schält sich immer klarer etwas heraus, was außer dem Autor vorher keiner sah: die Buddenbrocks oder eben auch ein Gruppenbild mit Dame oder was auch immer für eine Geschichte. Richtig fertig ist die Geschichte aber erst, wenn in vielen sich wiederholdenden Prozessen immer feiner geschliffen wurde. Autoren sind Bildhauer im Textsteinbruch. Und ohne ihre massiven Eingriffe in die Wirklichkeit käme nicht zu Tage, was wir lesen wollen: die Essenz … und nicht das Rohmaterial.

Nochmal mehr zum Gruppenbild: eine echte Gruppe wäre viel zu wimmelig und konfus. Da greift schon der Fotograf ein, sortiert, ruft zur Ordnung und pickt den einzigen und absolut nicht repräsentativen Moment heraus, in dem alle nett und intelligent dreinschauen. Der Autor geht noch weiter. Er streicht Gruppenmitglieder, er fasst mehrere zu einer Person zusammen, er packt einen Wildfremden dazu und hat dann endlich das Gruppenbild mit Dame. Auf jeden Fall hat er etwas, was es so nicht gibt. Aber geben könnte. Und von dem wir Leser schon immer dachten, dass es das gibt.

Aber Achtung, nicht reinfallen! Es ist nicht der genialische Autor/Bildhauer, der das Wunderwerk schafft. Denn nach wie vor gilt:

Wie ein Autor/Bildhauer vorgeht, das unterliegt Moden. Und kann mal mehr handwerklich, mal mehr künstlerisch sein. Kann abstrakt, formal, organisch, konkret sein.

Und es muss mit ihm nicht viel zu tun haben. Wolf Haas hat in einer der letzten ZEIT-Ausgaben sehr klar gemacht, dass er nichts mit seiner Hauptfigur „Brenner“ zu tun hat und dass die Bezüge zu seinem echten Leben nur charmante Anknüpfungspunkte sind. Aber eben keine biographischen oder psychologischen Ankerpunkte.

Ein Kommentar:

  1. Eine wirklich interressante Idee, das Schaffen eines Autors mit dem eines Bildhauerst zu vergleichen. Ein Bildhauer hat zum Bearbeiten immer nur einen Block aus einer gesamten Steinader, so hat auch der Autor immer nur seinen Blickwinkel aus unendlich vielen Blickwinkeln auf die Dinge. Dass der Leser dennoch weiß wovon der Autor spricht, ihm die Geschichte sogar abkauft, liegt daran, dass sich der Autor aus der in seiner Region verlaufenden Steinader bedient, manchmal fährt er auch mal weiter weg und besorgt sich einen auswertigen Brocken, aber den Großteil muss er aus seinem Umfeld abbauen und verarbeiten. Der Leser hat ja die regionale Ader auch schon das ein oder andere mal besichtigt. Mh, ganz schön Bildhaft, aber denke ich weiß worauf du hinauswolltest 😉

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