Heute mal zwei historische Romane der Neuzeit. Zunächst mal:
Francesca Melandri „Alle, außer mir“.
Ein Familienroman aus dem heutigen Italien und seiner kolonialen Vergangenheit in Nordafrika. Melandri pendelt recht geschickt zwischen dem heutigen Rom – dem Politsumpf der Berlusconizeit und den neu erstarkten Faschisten – und den Stationen im Leben ihres Vaters. Der lebte zu Mussolinis Zeiten in der Emilia Romanga und in Äthiopien.
Mit der eigenen Nazigeschichte meine ich mich einigermaßen auszukennen. Über den italinischen Faschismus konnte ich dafür in diesem Buch einiges lernen. Gut gelungen auch die Verknüpfung mit der aktuellen Flüchtlingsdebatte in Europa, die hier aus einer unmittelbaren, einer italienischen Perspektive betrachtet wird.
Literarisch vielleicht kein großer Wurf, aber durchaus lesenwert.
Und dann noch:
Inger-Maria Mahlke: Archipel
Warum sie den deutschen Buchpreis gewonnen hat, versteh ich nicht. Das Buch erzählt zwar durchaus interessant die Geschichte der Kanaren. Und als Urlaubslektüre ist es sicherlich ganz gut geeignet, um unter die Oberfläche dieser touristisch beliebten Destination zu schauen. Aber der Versuch, die Geschichte rückwärts zu erzählen bringt hier keine neuen Erkenntnisse, ist einfach nur gekünstelt-künstlich. Das ist einfach nur mühsam und letztlich langweilig. Die gleiche Geschichte linear von damals nach heute erzählen wäre in diesem Fall geschickter gewesen. Also: einfach von hinten nach vorne mit dem letzten Kapitel anfangen und dann nach vorn arbeiten!
Aber gut, man erfährt was über den Frankismo, über den Widerstand dagegen, über die Polisario und dass die Kanaren eigentlich unabhängig sein wollten und erst seit recht kurzem spanisch sind und sich noch immer ein wenig fremd in Spanien fühlen.
Übrigens: mit Mahlke war unter anderem auch „Die Gewitterschwimmerin“ von Franziska Hauser für den Buchpreis nominiert. Interessanterweise hat diese Autorin auch „rückwärts“ erzählt. Bei ihr war das aber eine sehr überzeugende Methode und inhaltlich begründet. Hauser hat zwei zeitlich gegenläufige Erzählstränge von heute in die Vergangenheit und umgekehrt. Die Stränge werden auf ihre je eigene Art erzählt und entwickelt und sie kreuzen sich irgendwann – an welcher Stelle und wie sie das tun ist dabei inhaltich durchaus relevant und erhellend. Hauser hätte den Buchpreis viel eher verdient als Mahlke. Aber mich fragt ja keiner.