Zeit ist ein Konstrukt, das zwar fraglos gut zum Menschen passt, aber eben nur eines von vielen möglichen Konstrukten. Andere Konstrukte sind denkbar und Denkbares ist möglich – oder nicht?
An dieser Vorstellung haben wir nichts auszusetzen: Der Mensch kann sich durch den Raum bewegen – vorwärts, seitwärts, auf- und abwärts. Diese drei Dimensionen beherrscht er virtuos. Er kann sich beliebig hin- und herbewegen, er kann dies schnell und langsam (uups, da lugt uns schon eine Zeitvorstellung an).
Seine Bewegung im Raum unterliegt zwei Beschränkungen: die Bewegung von einer Raumkoordinate muss auf einem lückenlosen (!) Pfad zwischen diesen Koordinaten führen. Die zweite Beschränkung liegt in der Materialität des Menschen begründet: seine Bewegung durch den Raum gelingt ihm nur, wo seine Physis es ihm erlaubt: wo ein Körper ist, kann kein zweiter sein.
Diese beiden Beschränkungen gelten nicht nur für den Menschen, sondern für die gesamte von ihm interpretierte Welt.
Eine vertraute Weltvorstellung ist ein Raum, der dadurch entsteht, dass wir in der einen Richtung Ost-West und 90 Grad dazu gedreht Nord-Süd abtragen und die Höhendimension nochmal um 90 Grad zu diesen beiden Achsen gedreht abtragen. Einfacher gesagt: eine dreidimensional modellierte Landschaft für eine Modelleisenbahn etrc. entspricht ganz hervorragend unserem Weltbild. In dieser Landschaft kann sich der Mensch beliebig bewegen – so lange er die beiden oben genannten Beschränkungen beachtet.
Was er die ganze Zeit (sic!) dabei mitschleift ist, dass Bewegung Zeit erfordert. Und diese vierte Dimension lässt sich nicht so einfach vorstellen. Sie ist eine dritte Beschränkung – neben lückenlosem Raumpfad und Physis. Und wie die beiden anderen Beschränkungen hat sie eine eigene Qualität. Auf den ersten Blick scheint es sich um eine Variante das lückenlosen Raumpfades zu handeln, denn auch die Zeit vergeht lückenlos.
Die hier gerade verwendete Sprache entlarvt aber schon den Unterschied. „Die Zeit vergeht“ ist eine Passivkonstruktion. Verrückterweise verdreht die Sprache die Aktiv- und Passivrolle aber. Denn es ist der Mensch, der passiv das Verstreichen der Zeit erlebt, erleben muss. Die Zeit selbst bewegt sich immer weiter und unaufhaltsam in eine Richtung. In eine einzige Richtung. Und in dieser Richtung wird der Mensch und seine Welt daran entlang gezogen, wie eine Pappfigur durch die Theaterkulisse gezogen wird.
Die Vorstellung einer vierdimensionalen Welt bereitet Schwierigkeiten, deshalb dieser Gedankentrick: statt einer Modellbaulandschaft wie oben, stelle man sich einen Stapel Landkarten vor. Alle Landkarten zeigen die gleiche Region. Ganz unten liegt die älteste Karte. Darauf – lückenlos – gestapelt Landkarten, die immer jüngeren Datums sind. Wir vernachlässigen also die Dimension „Höhe“ und ersetzen diese durch die Dimension „Zeit“.
In der menschlichen Vorstellung sieht eine Bewegung von Punkt A nach Punkt B nun so aus: eigentlich will ich mich auf ein und derselben Karte bewegen. Ich gehe am Punkt A los und möchte auf der gleichen Karte am Punkt B ankommen. Ich komme auch am Punkt B an, aber nicht auf der gleichen Karte, denn während meiner Bewegung wurde ich auf dem Kartenstapel immer weiter nach oben gehoben und wenn ich bei B bin, bin ich auf einer neueren Karte.
Und wenn ich mich nicht bewege? Dann tun es die Karten trotzdem. Der Stapel der Karten wird an mir vorbei gezogen – die Zeit läuft – und wenn ich genau hinschaue, dann bin ich selbst auf diesen Karten abgebildet, denn auch mein Körper, mein „ich“ erfährt den Verlauf der Zeit. Am Punkt B angekommen, ist mein Abbild auf der Karte ein gealtertes Abbild. Genau genommen sieht mein Reiseplan ja zum Beispiel so aus: ich bin jetzt (30. November) in Stuttgart und will morgen (1.12.) in Warschau sein. Und wenn ich mich im Raum nicht bewege, dann habe ich trotzdem einen implizierten „Reiseplan“: ich bin jetzt in Stuttgart und will es auch morgen sein – dazu bewege ich mich nicht im Raum, sondern in der Zeit. Der Kartenstapel wird an mir vorbei gezogen und mein morgiges „ich“ ist auf einer anderen Karte abgebildet und damit auch ein anderes „ich“.
Das verrückte an dieser Vorstellung ist, dass sich der Mensch auf der Karte beliebig bewegen kann (im Raum), darüber hat er die Kontrolle. Aber eine zweite Bewegung wird automatisch an ihm ausgeführt (das Verstreichen der Zeit); hierüber hat er keine Kontrolle. Genauso, wie die ganze Welt um ihn herum hierüber keine Kontrolle hat.
Das wäre die langatmige Herleitung, warum Zeitreisen nicht gehen.
Nun stellen wir uns mal vor, der Kartenstapel würde anders bewegt. Einfach mal als Gedankenexperiment! Der Kartenstapel würde sich kontinuierlich von Ost nach West bewegen. Und ich könnte mich dafür beliebig in der Nord-Süd-Achse und in der Zeitachse bewegen. Ich könnte also diesen Reisplan haben: ich bin in Stuttgart 2019 und will nach Warschau 1919. Ich gehe los nach Norden und nach unten (in der Zeit zurück). Damit ich mein Ziel korrekt erreiche, muss ich eine bestimmte Geschwindigkeit haben, sonst komme ich in Warschau zur falschen Zeit an oder bin zur richtigen Zeit nicht am gewünschten Ort Warschau.
Klingt für die menschliche Vorstellung absurd. Aber warum eigentlich nicht? Ist letztlich auch nicht absurder, als die Vorstellung, dass die Zeit an mir vorbei gezogen wird.
Schwierig wird es, wenn man sich genauer vorstellt, was sich da auf den Weg macht. In unserer gewöhnlichen Weltvorstellung macht sich mein Körper auf den Weg von A nach B. Der Körper in seiner weitgehend klaren und konstanten Abgegrenztheit zu den umgebenden Körpern. Und in diesem Körper transportiere ich eine Vorstellung von mir und meiner umgebenden Welt herum. Dieser Körper sitzt dabei fest auf dem unendlich dünnen Schieberegler „Gegenwart“, der Vergangenheit und Zukunft trennt. Wobei sich dieser Schieberegler unerbittlich in nur eine Richtung bewegt.
In der gerade gedachten Alternativwelt gibt es diese Abgegrenztheit des reisenden Körpers (!) aber nicht. Warum? Auch iher gäbe es ja diesen Schieberegler, der nun Ost und West trennt. Es würde ja nur eine unendlich (!) dünne Scheibe meines Körpers die Reise antreten, nur das, was auf der unendlich dünnen Schnittstelle der Ost-West-Achse liegt. Wenn aber kein Körper reist, was tritt dann die Reise an? Was ist mit dem „ich“, dem Körper und meiner Vorstellung von der Welt? Gibt es diese drei überhaupt noch?
Kurz gesagt: wenn das hier gemachte Gedankenexperiment Bedeutung hat, dann würde Zeitreise im Koflikt stehen zur Vorstellung von „ich“ und „Körper“. Zeitreisen sind also denkbar und deshalb machbar – aber eben nicht für „mich“. Nicht für ein Individuum oder einem Körper wie wir sie kennen.
Aus diesem Dilemma käme man vielleicht heraus, wenn man neben den bislang betrachteten vier Dimensionen noch weitere Dimensionen berücksichtigt. Aber dafür bin ich zu doof. Also geht Zeitreise auch aus diesem Grund nicht für mich.
Und was ich noch gar nicht erwähnt habe ist das Konzept der „Kausalität“. Das ja im Zusammenhang mit der Zeitvorstellung steht – dafür ist jetzt aber keinen Zeit mehr, ich muss erstmal einkaufen gehen.