Alvaro Enrigue: „Jetzt ergebe ich mich, und das ist alles“
Ich muss gesetehen, dass mein Bild von Indianern komplett durch Karl May und Western-Filme versaut ist. Spannung, Exotismus, starke Männer – darum gings mir. Ich hab mich nie drum geschert, was eigentlich passiert ist, als Mexiko und die USA zu Staaten wurden und die Indianerstämme im Zuge dieser Staatsbildung untergingen. Dass ich den letzten Satz überhaupt so formuliere, verdanke ich der Lektüre diees Buches von Enrique, der laut Klappentext und Mario Vargas Llosa „ein äußerst versierter und erfahrener Schriftsteller“ ist. Diese Lob finde ich ehrlich gesagt zu behäbig. Der Kerl schreibt ganz einfach richtig gut.
Das Buch verschränkt Vergangenheit und Gegenwart. Im Prinzip begleiten wir Geronimo, den berühmten Apachen, durch sein Leben. Sein Leben wird durch Dokumente und teils fiktionale Figuren erzählt. Verwoben sind die historischen Abschnitte mit einer Art Road Trip: Die Familie des Autors reist durch die Apacheria auf einer Art Entdecktungsreise – Entdeckung der Apachen und der Familienkonstellation und der Bezüge zwischen Vergangenheit und Gegenwart.
Alvaro Enrigue erzählt den Untergang der Apachen, die zwischen den sich herausbildenden Staaten Mexiko und USA zerrieben und weggewischt wurde wie ein Spur in der Prärie. Es ist Geschichtsschreibung in Romanform at its best. Wer also nicht auf dem Niveau von Winnetou stehen bleiben will, dem sei dieses Buch ans Herz gelegt. Es ist spannend und informativ. Und es ist – zugegeben – manchmal ein wenig lang und manchmal ein wenig rührselig-pathetisch, jedenfalls in den Gegenwartspassagen. Aber für seine Mühe wird der Leser mit einer raffiniert verwobenen Geschichte belohnt.
Fazit: lesen!
Michel Houellebecq: Vernichten
Im Nachwort verspricht uns der AUtor, dass dies sein letzter Roman sei. Mal sehn, ob wir ihm glauben können, denn der letzte Satz sagt ja immerhin aus, dass man mit wunderschönen Lügen die Wirklichkeit ändern könne. Warten wir einfach ab, was der alte Mann macht.
Das ziemlich dick geratene Buch hat seine Längen. Das scheint auch dem Autor klar zu sein und er baut deshalb immer wieder Spannung auf – sei es mit Cliff Hangern, sei es mit einem über die Handlung gelegten Polit Thriller – vor allem aber damit, wie der uns Personen vorstellt, die in der MItte des Buches so ziemlich die glücklichsten Momente ihres Lebens erleben … naja, dann kommt die zweite Hälfte und das Buch macht sich ans „Vernichten“.
Im Prinzip ist der Titel aber irreführend. Der Autor erzählt uns keine Vernichtung, sondern das Gegenteil, er baut die Liebe (die familiäre, besonders aber die eines Paares) als den Rettungsanker, als das Unzerstörbare auf, dass den Tod überwindet. Uuups?! Geht es um Eloise und Abelard? Geht es um romantisch überhöhte Liebe? Was reitet Hoellebecq? Na, vielleicht ist er einfach alt und nähert sich dem eigenen Tod? Wie auch immer: er erzählt über weite Strecken brilliant, so richtig warm wird man mit seiner Hauptfigur nicht, das will er aber auch nicht. Er versteht sein Handwerk und kann auch über lange Bögen erzählen. Die philosophischen Reflexionen der Hauptfigur können einem auf den Geist gehen – Tipp: einfach überblättern. Andererseits sind diese Reflexionen durchaus bedenkenswert.
Womit man klar kommen muss: immer wieder fließt Mystik ein, bis hin zu einer regelrecht lächerlichen Pentragramm-Arithmetik. Und irgendwo in der Buchmitte wird die Farce eines Verbrechens inszeniert, das überhaupt keines ist, nur ist ihm wohl kein anderer Wendepunkt für die Geschichte eingefallen. Und insgesamt ist das Ding eigentilch zu lang.
Was jetzt? Lesen oder nicht lesen? Mir hats gefallen wegen des Schriftstellerhandwerks und wegen mancher Überlegungen. Es war keine Zeitverschwendung und das kann man nicht über alle Bücher sagen!