Sommerzeit, Götter und Naturgesetze

Jedes Jahr große Aufregung: die Sommerzeit kommt, da wird uns eine Stunde Schlaf geklaut. Oder geschenkt? Egal, die Volksseele tobt so oder so. Der Spießbürger rastet ob der  staatlich verordnete Ungerechtigkeit aus und führt ein fadenscheiniges Argument ums andere an, dass mit diesem Humbug Schluss ein müsse.

Nee, eben gerade nicht. Zwei Gründe sprechen ganz und gar überzeugend für die Beibehaltung der Sommerzeit. Erstens sind die Sommerabende dadurch viel schöner, wärmer, heller. Das wäre schon Grund genug.

Aber tatsächlich ist die Umstellung auf die Sommerzeit nichts weniger, als der Versuch, die Naturgesetze auszuhebeln. Zu zeigen, dass der Mensch sich über die Zwänge des Daseins erheben und aus ihnen befreien will. Herodot berichtete von einem afrikanischen Stamm, dessen Armee gegen einen quälenden Sturmwind auszog und diesen mit Schwertern und Lanzen bekämpfte. So ist es auch mit der Sommerzeit. Wir kleinen Menschlein verweigern dem Taktschlag der Zeit die Gefolgschaft. Wir richten die Zeit so ein, wie es uns gefällt. Prometheus hat uns das Feuer gegeben und damit auf eine Stufe mit den Göttern gestellt. Mit der alljährlicher Umstellung auf die Sommerzeit danken wir ihm und erinnern uns selbst daran, dass wir uns über die Schöpfung erheben – oder für Atheisten: über die Naturgesetze. Und im Herbst dann gestehen wir ein, dass wir ein wenig unter Hybris leiden und kehren reumütig zur naturgesetzlichen Zeit(-rechnung) zurück. Geben wir klein bei? Nein, kein halbes Jahr später drehen wir schon wieder an der Uhr. Die alljährliche und zweimalige Zeitumstellung ist schlichtweg eines der wenigen und vielleicht das sinnvollste Rituale unserer Zeit. Es erhebt uns in den Götterstand und erdet uns wieder. So soll es bleiben.

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