Principessa (1)

Lieber Onkel Onofried,

heute morgen bin ich nach einer langen Nacht in aller Frühe hier angekommen. Die ganze Nacht ein Geruckel und ein ständiges Rattern und Lärmen, da war an Schlaf nicht zu denken. Gerade mal, dass man für ein paar Minuten wegdämmerte, nur um gleich wieder aufzuschrecken. Die Hand stets am Geldgürtel, den Kopf an die Tasche mit den Dokumenten und Wertgegenständen gelehnt und die Brille die ganze Zeit vor den verquollenen Augen. Und in Florenz keine Zeit, die Stadt zu besichtigen – welch ein Jammer. Stattdessen ein Hetzen und Hecheln, weil es gleich weiter ging.

Doch genug davon. Nun bin ich also hier. In Pietrasanta. Endlich. Was soll mir Florenz, Rom, Pisa und all die anderen italienischen Städte, eine wie die andere, wo ich denn nun endlich hier sein kann. In der Stadt von der alle Künstler träumen – Michelangelo, Warhol, John Lennon. Und was für eine Aufregung in der Stadt. Man redet an allen Ecken und in allen Gässchen davon: die Principessa Marina de Pietrasanta! Sie soll kommen. Es ist kaum zu fassen. Ihr Besuch steht wohl unmittelbar bevor. Zusammenrottungen auf dem Markt und in den Cafes, in den Gelaterien und in den Beichtstühlen der Kirchen. Die Begeisterung der Einheimischen kennt keine Grenzen und hat auch mich angesteckt. Die Leute stecken die Köpfe zusammen und es ist eine wahre Pracht ihnen zuzuhören.

Woher die Nachricht ihrer Ankunft kommt, weiß keiner mehr zu sagen. Aber die Nachricht ist in aller Munde und jeder hat etwas beizutragen. Sei es der Tag an dem sie kommt – auf jeden Fall diesen Monat. Sei es ihre Bekleidung, ihre Gewohnheiten und Eigenarten. Die Leute scheinen alles über sie zu wissen und können ihre Ankunft kaum erwarten.

Die Emotionen schlagen hoch und zum Glück hat es im Laufe des Tages zweimal ein wenig geregnet. Das beruhigte die Gemüter und die Straßen und Gassen leeren sich ein wenig. Ach, Onkel Onofried, auch ich bin schon ganz aufgeregt. Ich hoffe sehr, dass die Leute sich nicht irren und die Principessa diesen Monat erscheint. Auch wenn ich bislang noch nie von ihr gehört habe, sie muss voller Liebreiz sein und nichts schient mir erstrebenswerter, als einen Blick auf sie zu erhaschen.

Ich werde dir berichten, dein lieber Vetter Franz

 

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert