Das Geheimnis des Altissimo (3)

Nachdem der Inhaftierte seinen Rausch ausgeschlafen und sich von Sergente Marcarpones Spezialbehandlung erholt hatte, wurde er unter verschärften Bedingungen verhört. Hierfür gab es zwar keinen ersichtlichen Grund, vermutlich hatten die beiden Sergenten einfach nichts anderes zu tun. Es wird außerdem gemunkelt, dass die Gespräche mit den Barbesitzern nicht die Erwartungen der beiden Sergenten erfüllt haben sollen. Und das Verhör dem Frustrationsabbau dienen sollte. Doch hierüber gibt es keine dem Verf. verlässlich erscheinenden Aussagen.

Dafür liegt aber das Verhörprotokoll vor, das der Verf. hier in den wesentlichen Punkten zusammenfasst: der Inhaftierte hatte an der Piazza Doumo im Cafe Michelangelo tief in nicht nur ein Glas geschaut. Dabei befand er sich in der Gesellschaft zweier Einheimischer. Deren Namen gab er als „Lou Idgy“ und „Joe Vanni“ zu Protokoll. Die beiden Sergenten befragten ihn allein zu diesen Namen mehrere Stunden, da ihnen die Aussage unglaubwürdig vorkam. Letztlich trugen sie die Namen dann aber in dieser Schreibweise in das Protokoll ein, da der Inhaftierte zu keiner anderen Aussage zu überreden war. Erst vor kurzem fiel einem Spezialist der vergleichenden Linguistik im Rahmen seiner Dissertation über das Thema „Die taube Justizia – Verständigungsprobleme in Italiens Polizeistuben, ein Plädoyer gegen die Todesstrafe“ auf, dass es sich vermutlich um eines von zahllosen Beispielen für die alltäglichen Missverständnisse gerade im Zusammenhang mit ausländischen Delinquenten handelt. Durch akribische Forschungsarbeiten gelingt ihm der Nachweis, dass mit großer Wahrscheinlichkeit mit „Joe Vanni“ ein Stammgast des Cafe Michelangelo gemeint ist, nämlich Giovanni „Trabatoni“ Moppelone, der gerne mit dem Ruf „habe Flasche leer“ seine Zechkumpanen zu neuen Runden anstachelt. Bei „Lou Idgy“ dürfte es sich laut der Dissertation, die inzwischen erschienen ist und in den Amtstuben der Policia Municipale ein Erdbeben hervorgerufen hat, um Luigi Salumi handeln, der sich meist im Dunstkreis von Giovanni Moppelone aufhält. Der Verf. konnte beide im Michelangelo antreffen, wo sich sich jeden Abend ab 22 Uhr aufhalten. Nach ihren Berichten, war dies auch am Abend des 2. Oktober so. Damals schloss sich ihnen eben jener Tourist an und der Abend muss wohl zu den gelungenen Abenden im Michelangelo gezählt werden, – bestätigt der glückliche Inhaber, der dank der Einnahmen dieses Abends seiner Geliebten ein Wochenende in Venedig schenken konnte.

Der Abend nahm einen absehbaren Verlauf. Die Gäste probierten den reichhaltigen Grappavorrat des Hauses und der Tourist – unerfahren in den örtlichen Gepflogenheiten – trank deutlich über den Durst hinaus. Giovanni und Luigi erzählten im dabei aus ihrem Leben und dabei müssen sie auch Geschichten über einen „Altissimo“ erzählt haben. Weder sie, noch ein anderer Gast, noch der Inhaber des Michelangelo können sich daran erinnern. Der Tourist gab dies aber im Verhör zu Protokoll und war davon nicht abzubringen. Um wen es sich bei diesem Altissimo handle, dass wisse er nicht mehr, daran sei der letzte Grappa schuld. Doch soll es ein Geheimnis um ihn geben. Und auch an die Art des Geheimnisses könne er sich nicht mehr erinnern. Da er in seinem Urlaub sowieso nichts zu tun habe, wolle er dieses Geheimnis aufdecken. Deshalb habe er – in der Meinung, es handle sich um Altissimo – versucht, auf die Leopolo II.-Statue zu klettern.

Alles deutet darauf hin, dass die beiden Sergenten eine neue Einnahmequelle witterten. Jedenfalls entließen sie den Touristen genauso eigenmächtig, wie sie ihn festgenommen hatten. In den folgenden Tagen beobachteten sie sein Treiben, damit sie – sollte das Geheimnis lukrativ sein – im richtigen Moment zur Stelle wären.

 

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