Warum man den Autor (zu) gern mit seiner Hauptfigur gleichsetzt

Vor ein paar Monaten: Rückfahrt von der Buchmesse, Sara G. kommt darauf zu sprechen, dass man beim Schreiben immer so viel von sich preis geben würde. Ich mach auf alter weiser Mann und behaupte natürlich das Gegenteil: Als guter Autor könne man so schreiben, wie man wolle. Der Text wird zur beliebig formbaren Masse und genau deshalb gibt man nichts von sich preis, weil unter dem bewusst geformten Textmasse der Autor nicht mehr erkennbar ist.

Dann waren wir zu ausgelaugt vom Messetag und bummelzugten vollends nach Stuttgart.

Jetzt geht mir das Thema nochmal durch den Kopf. Deshalb Rückblende, ganz weit zurück an Steinzeitjägers Feuerstellen. Da saßen wir und erzählten uns vom Tag, wie die Jagd misslang und wie sie aber morgen ganz sicher  erfolgreich sein würde. Wir unterstrichen unsere Pläne durch Stockzeichnungen im Sand, aber ohne unsere Worte hätten wir die Pläne nicht schmieden können. Selbst unsere Wölfe gehorchten besser, wenn wir ihnen die Befehle nicht mit Gesten, sondern mit Rufen erteilten. Wir zeichneten an Höhlenwände, wir machten Musik, formten Skulpturen, aber nichts war so ausdrucksstark, wie unsere Sprache. So präzis und komplex. Sie umfasste Vergangenes und die Zukunft, Konkretes und Abstraktes, die Banalitäten des Alltags und das Metaphysische. Und das allerbeste war: nicht nur für den Sprecher war sie so universell, sie war es vor allem auch für den Zuhörer. Ohne diese eindeutige und verlustfreie Sinnübertragung wäre die Sprache nicht zu einer solchen Erfolgsgeschichte geworden.

Ach ja, der Zuhörer. Für den galt über Jahrtausende die untrennbare Einheit zwischen dem Gesagten und demjenigen, der es sprach. Der Zuhörer musste zwischen beidem nicht trennen.

Ganz anders bei den Höhlenzeichnungen und Skulpturen: einmal gefertigt hatten sie Bestand und ihren Platz in der Welt. Derjenige, der sie gemacht hatte, konnte gehen, konnte sterben, seine Werke waren noch da. Und andersherum: sein Werk konnte zerstört werden … und er lebte weiter. Wie offensichtlich ist da die Trennung zwischen Werk und Schöpfer. Den Erzähler muss man dagegen umbringen, damit er verstummt. Eine gewisse Ähnlichkeit gibt es noch mit der Musik, auch hier gehören Musiker und Musik fast untrennbar zusammen an unserem Steinzeitlagerfeuer.

Nur bei einer einzige anderen Ausdrucksform gab und gibt es diese enge Verbindung zwischen demjenigen, der sich ausdrückt und dem Ausgedrückten – bei der Körpersprache. Nur, dass hier die Bandbreite des Ausgedrückten auf Emotionen beschränkt ist. Und die Eindeutigkeit der Rezeption, die klappt auch nicht immer.

Szenenwechsel: Die Lagerfeuer sind verloschen, die Erzählungen verraucht, irgendjemand kommt auf die wahnwitzige Idee gesprochene Sprache in Zeichen zu übersetzen. Und noch wahnwitziger: es klappte! Zeichen, die in Ton und Holz und Wachs geritzt wurden und die nun genau die räumliche und zeitliche Trennung zwischen Schreiber und Leser herstellten. So wichtig die Schrift als Wissensspeicher der Menschheit ist, so irrelevant war sie lange Zeit für Großteile der analphabetischen Menschheit. Es gab nur ein paar wenige Schriftkundige, aber genau die sind es, von denen man heute noch weiß. Eben genau wegen ihrer Fähigkeit zu Schreiben.

Für die Leser gab und gibt es seit jeher das Problem der Authentizität: Ist die Keilschrifttafel mit der Steuerschuld echt oder gefälscht? Ist der königliche Erlass getürkt oder nicht? Ist das Testament Schwindel oder wollte der Verstorbene das tatsächlich? Im Bereich der „amtlichen“ Schreiben hat man sich viel einfallen lassen, um die Authentizität zu gewährleisten (Siegel, Unterschriften, Stempel etc. pp.). Und im Bereich der Lyrik, der Romane, des Fiktionalen? Da hat man sich das Konzept der Autorschaft einfallen lassen.

Anlass, gedanklich nochmal an das Zugfahrtgespräch mit Sara anzuknüpfen ist eine Passage aus der „Unterwerfung“ von Michel Houellebecq:

„Allein die Literatur erlaubt uns mit dem Geist (sic!) eines Toten in Verbindung zu treten, auf .. umfassendere … Weise, als das selbst in einem Gespräch mit einem Freund möglich wäre … niemals liefert man sich in einem Gespräch so restlos aus, wie man sich einem leeren Blatt ausliefert, das sich an einen unbekannten Empfänger richtet … ein Autor ist zuvorderst ein Mensch, der in seinen Büchern gegenwärtig ist … ein Buch, das man mag, ist zudem vor allem ein Buch, dessen Autor man mag, dem man gern begegnet …“  (S.10)

Nun, ich würde Houellebecq nicht gern begegnen.

Aber seine Figur, die ich gerade zitiert habe, vertritt sehr pointiert ein Konzept der Autorschaft, das bei jener Bahnfahrt im Gespräch war. Individuelle Autorschaft ist im Prinzip eine Vorstellung wie damals am Lagerfeuer, als man den Erzähler sah. Und eine Vorstellung, wie sie von vielen Autoren gern gehegt und gepflegt wird, denn so lange ihre Texte beliebt sind, sind sie es auch. Blöd, wenn ein Text mal daneben geht…

Ein Autor, der sich diesem Konzept des Individualautors ganz bewusst und total entzog, war Mohammed, der nach seiner eigenen Darstellung ein Privatsekretär Gottes war und nur eifrig mitschrieb, was ihm diktiert wurde. Das ist so lange ein Erfolgsrezept, wie Menschen an diesen Gott glauben, der in diesem Fall pikanterweise ein Diktator ist. Wenn eines Tages die Einsicht reifen wird, dass es den nicht gab und nicht gibt, dann hat der Text und damit auch sein eigentlicher Autor Mohammed ausgedient und beide werden in Vergessenheit geraten. Ein Schicksal das andere fiktionale Texte nicht teilen. „Romeo und Julia“ wird man auch dann noch geniesen können, wenn man erfährt, dass es die beiden nie gab.

Wie viel Autor muss in einem Buch stecken? Ernst Jünger hat mit LSD experimentiert und wie sich das auf sein Schreiben auswirkt. Dabei führt er nur eine ganze Reihe von Autoren an, die sich mit jeder möglichen Droge zum Schreiben brachten. Aber okay, vielleicht wurde durch die Droge ja auch nur das Innerste oder Unterbewusste des Autors zu Papier gebracht? Wie aber steht es mit Autoren, deren Werk weitgehend aus collagierten Zitaten besteht – Elfriede Jelinek als Beispiel – verschwinden die nicht weitgehend hinter dem Text?

Nun, vielleicht fällt mir irgendwann in den nächsten Jahren noch mehr zu dem Thema ein. Jetzt isses erstmal gut mit dem Getue, genug vom weisen alten Mann. Gute Nacht.

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