Nachdenken: Umberto Eco

Ein großer Intellektueller ist gestorben. Wie können man eines Denkers besser gedenken, als durch Nach-Denken?

Wie so viele, habe ich ihn durch den „Namen der Rose“ erstmals wahrgenommen. Das ist nicht nur ein spannender Krimi, ein semiotisches Schelmenstück und eine religionsphilosophische Auseinandersetzung, sondern auch ein Werk, anhand dessen man schön über den Ursprung des modernen Verlagswesens nachchdenken kann.

Im namenlosen Kloster seines Romans dienen Bücher – generell die Schrift – als Wissensspeicher. Texte speichern das Wissen um Gott – nicht um die Welt. Die Klöster horten das Wort Gottes. Über anderes wird nicht geschrieben. Die Nachrichtenfunktion des Textes scheidet damit weitgehend aus. Weil es erstens kaum Empfänger gibt, kaum jemand lesen kann. Und weil es zweitens keine neuen Nachrichten gibt, es wird nur Gott gehuldigt.

Dabei könnte das Buch nicht nur als Speicher des vorhandenen Wissens dienen, es könnte Wissen auch verbreite(r)n. Auf zweifache Weise sogar. Es könnte Wissen im Kopf des einzelnen Lesers verbreitern – wenn es denn Leser gäbe, die noch dazu Zugang zu Büchern hätten. Und es könnte Wissen räumlich verbreiten, indem Bücher zwischen Lesern ausgetauscht werden. Denn das Buch ist ein wunderbares Trägermaterial des Wissens und muss nicht am Ort, in der Klosterbibliothek stehen bleiben.

Damit aber der klösterliche Umgang mit geschriebenen Texten durchbrochen werden konnte, damit Bücher, das darin enthaltene Wissen und ihre Leser die Welt erobern konnten, brauchte es gleich mehrere Voraussetzungen.

a) Es brauchte die Drucktechnik – heissa, Gutenberg! – damit die mühselige Kopiererei durch die Massenproduktion abgelöst werden konnte.

b) Es brauchte Autoren, die etwas anderes niederschreiben, als nur das immer gleiche Wort Gottes. Autoren, die das Wissen der Welt zu Papier bringen, indem sie ihr eigenes menschliches Wissen um die Welt niederschreiben – und es anderen zukommen lassen. Es braucht ein modernes Individuum, das eine eigene Idee, eine eigene Vorstellung von der Welt und vor allem von sich selbst hat (und kein willfähriges Kopiergerät Gottes ist).

c) Und es braucht eine breite Leserschaft. Einen gesellschaftlichen Stand, den es bis dahin nicht gab, das Bürgertum. Dessen Wohlstand nicht auf Erbadel, kirchlicher Autorität oder den kargen Früchten der Landwirtschaft fußte – sondern durch Handel mit allem Möglichen entstand. Bücher mussten zur Handelsware werden, die Angebot und Nachfrage hat, die Profit verspricht.

d) Diese Umgebung ist die Keimzelle des Verlags: Bücherherstellung erfolgt dort aus Eigennutz und nicht als Gottesdienst. Der Eigennutz des Verlegers nutzt dem Autor und der Leserschaft. In Managersprech: eine win-win-Situation.

Als Bücher den Weg raus aus den Klöstern in die Universitäten und bürgerlichen Kreise gefunden hatten, entfalteten sie eine ungeheuerliche Dynamik. Die Gutenberg-Bibel ist das Deckmäntelchen, die wahre Wucht wurde durch andere Bücher entfaltet. Bezeichnenderweise war es die Verbreitung eines … Lehrbuches des kaufmännischen Rechnungswesens, das in Europa Wirtschaftswachstum induzierte und zu einem sich selbst verstärkenden Trend, der wissensgetriebenen, buchgestützten Ökonomisierung führte. Die Welt des Wissens wuchs durch Bücher. Und sie wuchs tatsächlich im ganz konkreten Sinn: Bücher berichten von fernen Ländern. Und schaffen die Grundlage einer globalen Kolonialwirtschaft.

Mehrere Jahrhunderte lang ist die in Büchern fixierte und in Büchern verbreitete Schrift eine wesentliche, vielleicht sogar die wichtigste Säule der westlichen Kultur.

In dem Jahr in dem Eco stirbt, wird, wie in manchem Jahr davor, das Totenlied der Buchkultur gesungen. Verleger heulen schon länger, dass ihr altes Geschäftsmodell nicht mehr funktioniert. Niemand liest mehr. Niemand ist mehr bereit für Bücher zu zahlen. Bücher werden durchs Internet verdrängt. Dort gibt es keine Zahlungsbereitschaft und dort wird die Schrift durch andere Informationssysteme (Bild, Ton) zurückgedrängt.

Ein Kommentar:

  1. Interessant, eine Genealogie des Buches im Foucaultschen Stil. Nein nicht der Pendel-Foucoult-Typ, der andere 😉

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