Für das Februartreffen hatten wir auf der Liste:
- Thomas Hettche: Pfaueninsel. War zwar auf der Shortlist für den Buchpreis. Aber irgendwie kam da bei mir keine Leselust auf. Der Autor hat ganz prima recherchiert und ist nur arg belesen und teilt uns seine ganzen Erkenntnisse mit über die Botaniker, Gartenkundler, Architekten und Ingenieure, deren Namen wir aus Berlin kennen, weil sie dort auf den Straßenschildern stehen, von denen wir aber nie so richtig wussten was sie machen. Dank Hettche wissen wir nun mehr über Lenné, Fintelmann etc. und natürlich das preussische Königshaus. Kann mir gut vorstellen, dass belesene Touristenkolonnen künftig mit Hettches Buch über die Pfaueninsel flanieren. Womit ich ein gehöriges Maß an beim Autor konstatieren will. Ein Insel nahe der Hauptstadt, gut zu errreichen, eine wahre Geschichte als Kern, viele große Namen und eine ganze Reihe von Themen. Quasi für jeden etwas … ich geb ja gern zu, dass ich einiges für mich Neues gelesen habe, aber der Stil war derart betuhlich bis langweilig, sorry, andere Menschen sehen das anders, aber ich hab mich eher durchgequält. Eine Randbemerkung noch zu der Unsitte Bücher und Filme mit dem Etikett „nach einer wahren Geschichte“ zu adeln. Aber hallo, sind Geschichten schlechter, wenn sie nicht auf „wahren Geschichten“ beruhen? Warum lesen wir denn Romane, schauen wir Filme? Weil wir die Dokumentation lieben?
- Lutz Seiler: Kruso. Dafür hat der Autor den Deutschen Buchpreis bekommen. Und den hat er sich auch verdient. Ein mächtig dickes Buch (manchmal wünscht man sich vielleicht eine geringfügige Kürzung, aber wo?) und ein großes Thema: Wie kann man in einer Diktatur Freiheit finden? Die Flucht in die Freiheit endet für viele, die von der DDR über die Ostsee flohen im Tod. Der Titelheld Kruso ist fest davon überzeugt, dass man nicht in den Tod fliehen muss, sondern dass man ein Netzwerk der Freiheit auf Hiddensee aufspannen kann. So macht er es Sommer für Sommer, er fängt die Fluchtwilligen ab, bringt sie unter, verköstigt sie und setzt dafür ein großes Netzwerk von Freunden ein. So auch im Sommer 89. Doch mit dem Untergang der DDR zerfällt auch seine Anderswelt. Beides implodiert und kann ohne das andere nicht sein. Dem Autor gelingen wunderschöne Bilder, er arbeitet sich an der Sprache bis ins kleinste Detail ab, sein Personal ist hochkomplex, die Erzählung nicht linear, sondern geht eher an Themenkomplexen entlang. Der menschenverachtenden Funktionalität des DDR-Systems wird eine mystifizierende Gegenrealität Krusos entgegen gesetzt. Beispiele für die Spracharbeit des Autors: der Stasioffizier ist für die Hygiene zuständig (im doppelten Sinn sorgt er für Hygiene in der Gastronomie und in den Köpfen der Menschen), er hat sein Büro in der Meldebehörde (wohin man dann seine Stasi-Berichte/Meldungen abgibt). Den Epilog sollte man nicht überblättern, er stellt die 400 Seiten davor nochmal in ein anderes Licht. Der Text lässt sich nicht schnell lesen. Aber mit Gewinn. Leseempfehlung? Ja!