David Grossman: Was Nina wusste.
Ein generationenübergreifendes Trauma wird von der Großmutter über die Tochter an die Enkelin durchgereicht. Am Anfang steht Großmutter Vera steht. Schon ihr Leben lang, richtet sich ihr Umfeld an ihr aus, umkreist sie wie ein Zentralgestirn. Sie steht im MIttelpunkt von Familien und Generationen und ist auch im hohen Alter ein wahre Patriarchin. Klingt gut, hat aber auch was Egomanes und ist Ursache des Traumas. Am anderen Ende der Kette die Enkeltochter Gili, aus deren Erinnerungen das Buch zusammengesetzt ist. Erinnerungen, die sich füttern aus ihrem Gedächtnis, aus Mitschrieben und alten Filmaufnahmen.
Ihre Mutter Nina vernichtet alle Erinnerungen gleich zweifach, nachdem die Wahrheit endlich ans Licht kam – einmal, indem sie die gefilmten Gesprähe mit Vera zerstört, einmal indem sich ihr eigenes Gedächtnis auflöst. Anders bei Gili, sie rekonstruiert die Vergangenheit und hält sie im vorliegenden Buch fest. Vielleicht kann man sagen, dass sie die Geschichte damit akzeptiert, sie hinnimmt und damit einen neuen Startpunkt für ein selbst gestaltetes Leben schafft?
Gilis Rekonstruktion der Vergangenheit fordert die Leserinnen: Zeit- und Perspektivsprünge werden hinter einander geschnitten wie in einem manchmal etwas experimentell geratenen Film.
Andrea Abreu: So forsch, so furchtlos
Zwei unzertrennliche Freundinnen verbringen die langen und öden Sommerferien in einem Bergdorf auf Teneriffa. Worüber jetzt zuerst schreiben? Über den Inhalt oder die Form? Eigentlich passiert ja nichts in diesen Ferienwochen. Oder? Nun ja, immerhin gibts erste Sexerfahrung mit Dorfjungs, immerhin werden die Mädel gegenüber einem Touri-Mädchen sexuall übergriffig, immerhin wird ein Dorffest veranstaltet, immerhin wird der böse Blick ausgetrieben, der Vulkan bricht aus (wenngleich auch nur in der Fantasie) und immerhin passiert das einzige, was die beiden Mädchen auseinanderbringen kann: Isora stirbt.
Und zur Form: ähnlich wie in Tagebucheinträgen notiert die Ich-erzählerin, was sie Tag für Tag erlebt. Und sie tut das in der einzigen Sprache, in einer vulgären, sexualisierten Sprache. Wie jemand von uns (sorry, kann mich nicht mehr erinnern, wer es war) meinte, könnte das auch die Sprache sein, von der die beiden Mädchen umgeben sind, die der einfachen Landbevölkerung, des Touri-Präkariats.
Die Autorin wurde für diesen Debütroman gefeiert. Im Klappentext steht, dass sie ein Fanzine zu Endometriose herausgab (da steht wirklich Fanzine, bei Endometriose weiß ich nicht so recht, wer die „Fangruppe“ sein soll). EinKrankheit, die alles andere als zärtlich-liebevoll mit dem Körper von Frauen umgeht, so ähnlich, wie auch ihr Text eher um sich schlägt und umhaut.
Dörte Hansen: Zur See
Wie ein beharrlicher Wellengang soll der Rhythmus des Textes sein, in dessen Mittelpunkt Familie Sander steht. Ein jeder von ihnen ist der See und dem alten Inselleben zugewandt und versucht krampfhaft wenigstens irgendwas davon zu bewahren: die Mutter lebt in einem fast schon musealen Puppenstubenhaus, der Vater ist Tierkonservator, die Tochter archiviert Sprachaufnahmen, der eine Sohn macht aus dem, was das Meer anschwemmt Kunst, der andere Sohn kommt über die Erinnerung an die Monsterwelle und den pädophilen Feriengast nicht weg. Jeder der Familie darf mal von sich erzählen und auch der Inselpastor bekommt seine Kapitel – nur der Künstlersohn, der am Schluss vomMeer geholt wird (er ist übrigens Rettungsschwimmer, die Autorin schient einen Hang zu schwarzem Humor zu haben) hat kein eigenes Kapitel.
Was lernen wir? Dass die Seemannherrlichkeit des 18. und19. Jahrhunderts tatsächlich vorbei ist. Keine wirkliche Überraschung, aber die Inselbewohner haben damit noch zu knapsen und fügen sich nur langsam in eine EU-finanzierte zur Schaustellung ihrer Traditionen.
Die Autorin schreibt mal wieder wunderbar. Stellt uns überzeugend beschriebene Personen vor und wer diesen Roman kauft, um ihn während seines Inselurlaub zu lesen, der bekommt gleich noch sein Fett weg, denn die Urlauber sind ja alles andere als beliebt, tauchen sie irgendwo auf, dann gibt man extra nochmal Gas, damit sie panisch in dee Strandhafer hüpfen!