Die große Auslese:

Patrick Modiano: Gräser der Nacht

Ist der Literaturnobelpreis ein Hinweis auf gute Literatur? In vielen Fällen ja. In diesem Fall eindeutig nicht. Ist mir schleierhaft, wie man jemandem, der so schreibt den Nobelpreis geben kann. Strunzlangweilig und manieriert. Preisverdächtig ist einzig, wie es dem Autor gelingt all die Ansatzpunkte für gute Literatur derart ungenutzt zu lassen. Lesen? Ich rate ab.

 Assia Djebar: Weit ist mein Gefängnis

Die vor kurzem verstorbene Grande Dame der algerischen Literatur hat es auf die Leseliste des Literaturkreises geschafft. Ziemlich sperrig ist die Liebesgeschichte im ersten Teil. Mit viel Autobiographie beschreibt die Autorin, wie eine moderne berufstätige Frau in Algerien sich in einen Bekannten verliebt. Passieren tut nichts, der Gatte rastet trotzdem aus, die Ehe scheitert. Dafür braucht die Autorin aber Dutzende Seiten. Sie entwirft eine riesige Arabeske ihrer verliebten Gedanken und darin finden sich immer wieder sehr schöne Sprachbilder.

Hat man sich da durchgekämpft, wird man belohnt mit einer spannenden Geschichtsschreibung vom alten Karthago bis heute mit der ganze langen Reihe der Besatzungsmächte in Algerien (von den alten Römern bis zu den Franzosen). Starke und interessante Details – zum Beispiel über die aus Spanien vertriebenen Mauren, die ihre andalusische Kultur in Algerien noch bis heute wach halten.

Dann nochmal ein Bruch: die Arbeit einer Filmemacherin (unschwer erkennbar, die Autorin selbst) und der Befreiungskrieg mit anschließendem Bürgerkrieg wird dargestellt – am Beispiel der Familie der Autorin. Und schließlich ein (zu) pathetischer Schlussteil, der ein Loblied auf Algerien singt.

Das Buch ist durchzogen von zwei roten Fäden: Sprache als Kulturträger und Frau als Kulturträgerin. Und von der These, dass Frauen die Kultur in Form von Sprache tragen. Und davon, dass sie seit Urzeiten von Männern in der ganzen Weite des Landes, der Geschichte und Gesellschaft unterdrückt werden – in einem weiten Gefängnis.

Lesen? Ja. Ist zwar nicht einfach, lohnt aber.

Michel Houellebecq: Unterwerfung

Angenommen, eine islamische Partei würden sich in Frankreich an die Macht kommen. Würde sich das Land von Liberte, Egalite, Fraternite unterwerfen? Ja. So jedenfalls in Houellebecqs neuem Buch. Geschrieben aus der Perspektive eines Literaturdozenten an der Sorbonne, dessen Lebensinhalt darin besteht, ein fußnotenstrotzendes Werk über einen irrelevanten Autor des 19. Jahrhunderts zu schreiben und Studentinnen zu vögeln, bekommt der Leser die weltfremde Ichbezogenheit der französischen Intellektuellen vorgeführt.

Die Unterwerfung unter die Scharia fällt mangels eines eigenen Wertesystems leicht und wird schmackhaft gemacht, weil man eine Frau fürs Bett und eine für die Küche gestellt bekommt und das gute Honorar weiter fließt und eigentlich alles ist wie vorher, nur, dass die Studentinnen statt Miniröcke nun Schleier tragen und Empfänge wegen der Abwesenheit von Frauen nun noch  langweiliger sind als davor.

Das Buch erschien am Tag, als die Redaktion von Charlie Hebdo von islamistischen Terroristen niedergemetzelt wurde. Es gilt als Provokation für Islamgläubige. Nun, meines Erachtens ist es genau das Gegenteil, es ist eine Provokation für die französische Gesellschaft, die ziemlich heftig vorgeführt wird. Lesen? Ja und dann mal darüber nachdenken, was einem die westlichen Werte wert sind.

Michael Köhlmeier: Zwei Männer am Strand

Die zwei Männer am Strand sind Churchill und Chaplin. Glaubt man Köhlmeier, dann waren beide über Jahrzehnte befreundet und Grund ihrer Freundschaft war, dass sie beide unter Depressionen und suizidalen Gedanken litten. In Strandspaziergängen führten sie quasi Gesprächstherapien durch.

Einige von Chaplins Werken werden im Licht dieser Depressionen interpretiert. Genauso einige Meilensteine von Churchills politischer Karriere.

Wer – wie ich – das Buch einfach nur liest und sich weder vorher noch nachher groß um einen Abgleich mit den tatsächlichen Biografien bemüht, der sitzt sicher an einigen Stellen Köhlmeiers Leim auf. Denn die Trennung zwischen dokumentierter Biografie und Fiktion ist dann kaum möglich. Genau damit spielt der Autor: dokumentieren und fabulieren. Genau deshalb macht das Buch aber auch Spaß und dank seiner angenehmen Erzählweise und nicht zuletzt wegen der beiden starken Charakteren.

Antonia Baum: „Ich wuchs auf einem Schrottplatz auf, wo ich lernte, mich von Radkappen und  Stoßstangen zu ernähren.“

Schöner langer Titel und schönes Buch. Die Zwillinge Romy und Clint wachsen mit ihrem drei Jahre älteren Bruder Jonny bei ihrem alleinerziehenden Vater Theodor auf. Letzterer ist zwar Arzt, entspricht aber dem Klischee des Arztes am allerwenigsten. Die Jugend der drei Protagonisten ist in einem Wort prekär.

Die Autorin schreibt aber kein anrührendes Sozialdrama, sondern balanziert ihre Geschichte wunderbar aus. Der Leser stellt sich schnell auf die Seite der drei Kinder/Jugendlichen, lacht mit ihnen über Skurriles und hofft mit ihnen, dass alles irgendwie ein gutes Ende nimmt. Lesen? Ja! Das Buch ist eine prima Lektüre für ein verregnetes Wochenende oder wenn man ein paar Tage krank ist oder im Urlaub mal wieder was großes und trotzdem nicht schweres lesen will.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert