Principessa (10)

Lieber Onkel Onofried,

der gestrige Brief war ein wenig kurz geraten. Aber du kannst dir ja sicherlich denken, dass ein geordneter Tagesablauf gestern kaum mehr möglich war. Dass die Post überhaupt noch einen Brief transportierte war schon ein kleines Wundes. Das ist nur dem Einsatz von Serafino, dem rasenden Postler, zu verdanken.

Außer ihm ging gestern niemand mehr einer geregelten Arbeit nach. Stattdessen sammelten wir uns zu spontanen Feierlichkeiten. Schon früh morgens begannen die Feiern und sie dauern ohne Unterbrechung bis jetzt an. Ich habe mich nur für diesen kurzen Bericht losreißen können und setze auf dein Verständnis, denn schon gleich muss ich zurück zu den anderen um die Principessa hoch leben zu lassen. Wahrscheinlich erreicht dieser Brief dich ja sowieso unterwegs, auf der Reise zu uns. Denn davon gehe ich ja fest aus, dass du, lieber Onofried, bei uns sein willst in diesen Tagen, an denen die Freude kein Ende nimmt.

Jeder hier feiert auf seine Art. Und du, der du die Italiener und Ihre Lebensweise ja viel besser kennst, als ich, kannst dir sicher lebhaft vorstellen, wie es hier zugeht. Blaskapellen ziehen durch die Straßen. Priester, umgeben von der Schar der Glöckchen bimmelnden Minestronen, schwenken Weihrauch und segnen die eilig aus den Kirchen geholten Madonnen, die seit gestern ohn Unterlass durch die Gassen gezogen werden. Kastanien werden rituell auf den öffentlichen Plätzen verbrannt.

So feuert ein jeder auf seine Art. Ich habe mich mit Freunden zum Festmahl versammelt. Wir trinken auf das Wohl der Principessa und stärken uns für weitere Großtaten zur Mehrung ihres Ruhmes. Hierzu nehmen wir, was immer uns zur Verfügung steht: Rotwein, Espresso mit viel Zucker, Kekse und vieles andere, dass wir schon verzehrt haben, so dass es auf dem Tisch nicht mehr zu sehen ist.

SIE selbst ist in einem der ersten Häuser am Platz untergebracht und erschöpft von der Reise. Hinter diesem Fenster ruht sie und um sie nicht zu stören versuchen alle im großen Umkreis so leise wie nur möglich zu sein. Die Hunde bellen so selten wie es ihnen möglich ist. Die Nachbarn rufen sich nicht über mehrere Grundstücke hinweg etwas zu, sondern treten ein, zwei Schritte näher, die Autofahrer hupen auf den geraden Strecken zwischen den Kurven nicht. Kurz, du würdest die Stadt nicht wieder erkennen.

Ach, Onkelchen, spute dich und reise wacker, damit du bald hier bei uns sein kannst. Sicher wird auch dir die Principessa gnadenvoll etwas zuwerfen, damit du sie in Erinnerung behalten kannst. Mir ist es gelungen eines ihrer Schnupftücher zu ergattern. Beinahe hätte ein kleiner Junge vor mir dieses Kleinod geschnappt, dass sie in einer unnachahmlich edlen Geste unters Volk warf, doch mit einem kräftigen Tritt mit meinen Bergstiefeln und einem Hinterhauptschlag mit einer Spaghettipackung, die ich glücklicherweise gerade bei mir führte, konnte ich den Lümmel noch abhalten. Es ging um Haaresbreite, lieber Onkel!

Nun aber sei es genug für heute mit diesem Papierkram. Meine Freunde warten auf die Weinflaschen, die man zu bechaffen man mich losgeschickt hat. Von jeder Flasche, die SIE handsigniert hat, gehen fünf Euro in einen karitativen Sonderfonds, den SIE höchst persönlichn verwaltet. Da lassen wir uns nicht lumpgen, wenn es um einen guten Zweck geht, dann trinken wir darauf.

Bis bald, dein lieber Vetter Franz.

 

 

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