Nacktheit

Weihnachen 2014: Bei einer Femen-Aktion springt eine (fast) nackte Frau in Köln auf den Kirchenalter, den Körper beschriftet mit „I am God“. Zwei Tage später ziehen sich Dutzende junge Menschen bis auf die Unterwäsche aus und stehen in der Stuttgarter Königsstraße um sich von einem Modeunternehmen mit zwei Kleidungsstücken ausstatten zu lassen. Welch schöne Parallelität.

Köln, Weihnachtsmesse und 80ster Geburtstag des Kardinals Meisner. Während der Messe springt eine Femen-Aktivistin auf den Altar, auf dem Körper die Aufschrift „I am God“ und ansonsten nur einen Slip am Leib. Ratzfatzinger wird sie abgeführt. Von der Aktion ist mir nur ein Bild bekannt, das aber das Potential zur Ikone hat. Das ist, gar keine Frage, eine politische Aktion. Das ist außerdem Aktionskunst ersten Ranges. Ein soziales Kunstwerk aus altem Kardinal, einem totgequältem Nacktem am Kreuz und einer lebendigen Nacktem – welche Trinität! Und die Komparserie erst: drollige Domschweizer und hunderte Gläubige. Weihrauchschwaden und Kerzenschein runden alles ab.

Es heißt, Gott (um es klar zu sagen: es gab ihn nie, gibt ihn nicht und wird ihn nie geben) schuf den Menschen nach seinem Ebenbild. Und zwar nackt. Insofern hat die Femen-Aktivistin nichts anderes gemacht, als eine wesentliche Aussage des alten Testaments zusammen zu fassen. Doch was macht der alte Kardinal? Er tröpfelt Weihwasser auf den Altar, um ihn damit zu reinigen. Was ist das denn? Exorzismus oder was? Gute Güte, wir leben im x-ten Jahrundert nach der Aufklärung und in aller Öffentlichkeit werden Rituale der dumpfsten Art vollführt. Schon allein dafür ein Dank an Femen.

Die katholische Kirche soll mal erklären, wie es denn nun ist mit dem göttlichen Ebenbild, wie es denn steht um die Gleichstellung der Frau in Gesellschaft und Kirche, wann denn endlich auch Frauen nach Vorstellung der alten Kirchenmänner über ihren Körper frei und selbstverantwortlich verfügen dürfen.

Ansonsten gilt der schöne Liedtext: Kardinal ond Kandel – älles isch em Wandel.

Stutgart, 27. 12., Königstraße. Vor einem Modekaufhaus ziehen sich Dutzende junger Menschen bis auf die Unterwäsche aus, nichts steht auf ihren Körpern, stattdessen tragen sie ein Firmenetikett.

Kunst? Politik? Nein, Konsumismus. Für zwei kostenlose Kleidungsstücke machen die das. Können die sich ihre Kleidungsstücke nicht kaufen? (Ach, hätte sich doch nur der eine oder andere sozial Bedürftige in die Gruppe gemischt! Asylbewerber, Obdachlose, Armutsrentner, Demutsbettler: wo wart ihr?) Nee, die standen nicht wegen Geldmangel halbnackt in der Kälte. Um die Kleidungsstücke ging es nur nebenbei. Es ging um den Event (Kotzwort). Denn häufiger noch als Kleidungsstücke waren Kameras (pardon: fotografierende Smartphones) zu sehen. Wenn Castingshows aussichtslos sind und damit die Chance, Superstar zu werden, schwindet, dann bleibt halt nur noch, sich für zwei Kleidungsstücke nackt im Stadtzentrum zur Schau zu stellen. Ein Stardasein auf Jedermannniveau.

Ja, tragt sie zu Markte, eure Haut! Noch habt ihr keine Cellulitis, noch polstert euch kein Fett, noch seid ihr jung und faltenfrei und bewusstlos. So mögen sie euch, die Marketingabteilungen der Konzerne.

 

Nachtrag:

Weil es eine religiös-ikonographische Aura hat und der weibliche Körper auf dem Altar im Griff der Götzendiener hier noch das Bild zur Femen-Aktion.

Femenaktion im Kölner Dom

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