Maschinen

Im Firmenblog zettelt Kollegin Sybille H. eine Diskussion an: Übernehmen Maschinen nicht nur profane Handarbeit, sondern bald schon kreative Tätigkeiten?

Meine Replik dazu:

Ein sehr schönes Thema! Danke dafür! Irgendwann so um 2002 herum hat die Künstlerin Karen Sander in der Staatsgalerie Stuttgart einen 3D-Scanner und einen 3D-Drucker aufgebaut. Damals eine noch sehr neue Technik und vor allen Dingen waren die künstlerischen Ausdrucksmöglichkeiten dieser Technik noch nicht mal ansatzweise erschlossen. Die Besucher der Staatsgalerie waren aufgerufen, sich scannen und als Miniaturen ausdrucken zu lassen. Im Laufe weniger Wochen entstanden – wenn ich mich richtig entsinne – über 100 kleine Skulpturen. Die seither im Archiv der Staatsgalerie verstauben. Leider, denn das ist sehenswerte Kunst. Die Künstlerin selbst hat das Setting erdacht und bereit gestellt. Erst zusammen mit dem Rezipienten wird das Kunstwerk fertig. Der Spruch, dass die Kunst im Auge des Betrachters entsteht, wird dadurch viel weiter gefasst: Die Kunst entsteht erst zusammen mit dem Betrachter, der zudem selbst zum Gegenstand der Kunst wird. Abgesehen davon entstand natürlich eine Sammlung, die eine Art Blitzlicht auf die deutsche Gesellschaft in den Nullerjahren wirft: Wie sieht man sich selbst? Wie will man gesehen werden? Wie stellt man sich dar? Wie ist man? Wie sieht man aus? Welche Emotionen zeigt man? Tritt man allein in den Scanner? Oder mit Familienmitgliedern, Partnern, Freunden? Nackt oder angezogen? Kunst schafft ein Abbild der Gesellschaft. Karen Sander hat Technik für Kunst eingesetzt. Das haben Künstler schon immer gemacht. Neu ist, dass es nicht mehr der genialische Künstler allein ist, der ein Kunstwerk schafft, sondern die Kombination aus Künstler – Technik – Objekt – Betrachter. Man muss Abschiednehmen von der Vorstellung, dass das Genie Kunst schafft, man muss aber nicht Abschiednehmen von der Kunst.

Im Literaturarchiv Marbach steht eine Lyrikmaschine (oder so ähnlich) von Hans-Magnus Enzensberger. Ähnlich aufgebaut wie die Anzeigen in Bahnhöfen oder Flughäfen besteht die Maschine aus vier oder fünf Zeilen mit etlichen Einzelbuchstaben. Per Knopfdruck setzt sie sich ratternd in Gang und wirft ein modernes Gedicht aus. Jedenfalls könnte keiner von uns das Ergebnis als Produkt einer Maschine erkennen, wir würden es jederzeit als modernes Gedicht akzeptieren. Ob das nun nur ein provozierender Beitrag zur Kunstkritik sein sollte oder eine echte Lyrikmaschine ist mir egal. Enzensberger analysiert Sprache, insbesondere die der modernen Lyrik, sehr genau und schafft aufgrund seiner Analyse ein Kunstwerk im Zeitalter der technischen (Re-)Produzierbarkeit. Die quasi industrielle Produktion von Kunst, aber in Einzelstücken! Walter Benjamin hat sich noch Gedanken darum gemacht, wie Kunst bei Reproduzierbarkeit nach Kunst bleiben soll. Er hat damit auf Fotografie und Film reagiert. Enzensberger ist da ein halbes Jahrhundert später deutlich weiter. Er schafft technisch unterstützt Einzelstücke. Denn bis jemals wieder das gleiche Gedicht erscheint, muss ich tausende Male den Knopf drücken.

Für mich ist klar: Menschen setzen Technik ein, um Kunst zu schaffen, so war es und so wird es noch einen Weile bleiben. Der Zeitpunkt, an dem Technik Kunst selbst schafft, ist (noch?) nicht da.

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