Januar-Auslese

  • Karen Köhler: „Wir haben Raketen geangelt“. Eine Sammlung von neun Erzählungen, die sich alle um das eine große Thema drehen: Wie soll man fertig werden mit der Wucht der Gefühle, die einen angesichts von Tod und Liebe überrollen. Ich hab das Buch meiner Nichte zu Weihnachten geschenkt und dann auch mal selbst gelesen. Nach der Lektüre sag ich: ein gutes Buch, ich steh zu dem Geschenk! Die Autorin kann sehr gut die Innenwelten ihrer Figuren erzählen, die Gefühlen angesichts tötlicher Krankheiten, verstorbener Geliebter, überraschender Hochzeitsanträge und dergleichen beschreiben. Ein wenig kommt sie sprachlich wie die Pop-Literaten daher, jung und leicht. Um dafür umso krasser die Keulenschläge des Schicksals zu schildern und wie „man“ versucht sich davon zu erholen. Dabei ist dieses „man“die Perspektive einer jungen Frau. Okay, am Stück gelesen, kann einem die Befindlichkeits-Ballung auf den Sack gehen. Aber die einzelnen Geschichten sind’s wert. Und die Umschlaggestaltung ist sehr schön.
  •   Jean-Philippe Toussaint: „Nackt“. Um den Autor bzw. um seine Romane über Marie Madeleine Marguerite de Montalte gab es in Frankreich wohl einen regelrechten Hype. Kann ich nicht ganz nachvollziehen. Dieser vierte und wohl letzte Roman der Reihe ist ein schmalbrüstiges Bändchen und darüber war ich  sehr froh. Denn längere Zeit hätte ich diesen Stil kaum ausgehalten. Der Text zerschreibt jegliche Spannung und Handlung. Wie ein Wildschwein sich in der Schlammsuhle um und um dreht, so dreht sich der Autor in den  Beschreibungen des Ich-Erzählers und seiner angebeteten Marie. So überkandidelt wie ihr  Name sind auch die Namen anderer Personen. Der Autor liebt Längen. Der Leser in diesem Maß nicht unbedingt. Freilich: gute Ideen hat er schon, er springt hübsch in der Zeit herum und nimmt ungewöhnliche Perspektiven ein, schafft absurd anmutende Szenarien. Ein richtiges Vergnügen war die Lektüre aber nicht. Irgendwie erinnert das Buch an die quasselnden französischen Filme und das ist vielleicht der Problemkern: der Text ist sehr „französische“ – was auch immer das im Detail nun heißen mag … Gerade im Kontrast zu den Erzählungen von Karen Köhler liest sich Toussaint blutarm. Er wirkt gefühllos, distanziert. Ich hab mich nicht mitgerissen, mitgenommen gefühlt. Na, vielleicht lag es auch an der Tageslaune.