„Fotos halten den Moment fest.“
Stimmts? Nee, stimmt nicht.
Wie war das denn in den Anfängen der Fotografie? Langzeitbelichtungen waren notwendig, um überhaupt ein Bild zu bekommen. Der „Moment“ war dann durchaus mal ein paar Stunden lang. Okay, schnell wurde die Empfindlichkeit der Platten gesteigert, die Objektive wurden besser und damit die Belichtungszeit kürzer. Trotzdem: bevorzugte Motive waren Stillleben oder wie man auf Französisch nicht weniger treffend sagt nature morte. Anders gesagt: das Leben musste für die Fotografie stillstehen oder war schlichtweg tot.
Ein häufiger Verwendungszweck der Fotografie war beispielsweise ein Gruppenfoto mit einem Verstorbenen. Die Hauptperson hält still, klar. Besonders absurd, wenn eine der lebenden Personen sich während der Aufnahme bewegte und damit etwas geisterhaft Verschwommens an der Seite des Toten auftauchte.
Ich hab eine Aufnahme der Hochzeitsgesellschaft meiner Großeltern. 1930er Jahre. Auch da gab es dieses Problem des Verwischens noch: alle starren gebannt und alles andere als natürlich zum Fotografen – nur ein Mädchen im Vordergrund zappelt herum und ist unkenntlich. Also nochmal: das Leben musste zum Stillstand kommen, damit die Fotografie es fest halten konnte. Oder nochmal anders gesagt: damit etwas für die Ewigkeit festgehalten werden konnte, musste es zunächst erstarren, die Ewigkeit sozusagen vorwegnehmen.
(Okay, es gab den Versuch, diese Begrenzung zu überwinden, z. B. die Fotografien von Eadweard James Muybridge, der Bewegungsabläufe (Läufer, Pferde etc.) festhielt. Das war immerhin schon Ende des 19. Jhd.s)
Und heute? Heute stimmt das doch, dass Fotos den Moment festhalten!
Nein, stimmt immer noch nicht, diesmal aber aus einem anderen Grund. Fotografieren ist heute fast ohne technische Hürde möglich, schließlich hat jeder eine Kamera im Handy. Und gerade die Handykameras werden oft genutzt, um die Fotografie ins Netz zu stellen und den Moment der Aufnahme sofort mit einem Sozialen Netzwerk zu teilen.
Nun ist es nicht „der Moment“, der das Problem darstellt. Sondern das „Festhalten“. Das Foto und der Moment wird eben nicht festgehalten, sondern sofort in die weite Welt geschickt. Bislang war das Foto etwas, was man für sich aufbewahrte, damit man zu jedem beliebigen späteren Zeitpunkt eine Erinnerung an etwas Wichtiges hat. Das Foto wurde deshalb an einem gut sichtbaren Ort in der Wohnung aufgehängt oder ins Familienalbum geklebt.
Aber: Der „digital native“ wohnt nicht mehr in einer Wohnung (dort ist nur noch seine leibliche Hülle, der Neerd), sondern im Internet. Und deshalb hängen seine Fotos nun eben nicht mehr in der Wohnung, sondern im Internet. So weit, so gut. Dort aber wird der fotografierte und geteilte Moment sofort weggeschwemmt von weiteren geteilten Momenten. Der Schuhkarton voller Fotos ist gar nichts dagegen. Der Wunsch, fotografierte Momente zu teilen gibt Fotos vielleicht erstmals tatsächlich das Momenthafte. In dem Moment, wo fotografiert und geteilt wird, ist das Foto sichtbar. Gleich danach wird es weggespült wie jeder Moment im Strom der Zeit und verdrängt durch neue und immer neuere fotografierte Momente.
Haha, schon mal was von Scrollen gehört? Oder von der Möglichkeit, auf der eigenen Facebookseite etc. nach etwas zu suchen? Klar, davon hab ich schon gehört. Aber schon im Schuhkarton hatte man es schwer etwas zu finden, in der Bilderflut im Internet – und sei es nur die eigene Facebookseite – wird es nicht wirklich einfacher. Von der (Un-)Möglichkeit etwas zu finden einmal abgesehen, liegt das Problem aber vielleicht auch darin, dass man gar nicht mehr sucht. Wurden früher nur wenige Momente im Leben für so markant gehalten, dass man einen fotografischen Marker setzte, so ist heute die Dokumentation des Alltags zum fotografischen Gegenstand geworden. Gleichzeitig behaupten die digital natives, dass sie nie und nimmer derart nostalgisch wären oder würden, dass sie jemals in ihrer Vergangenheit schwelgen würde.
So weit mal für heute. Vielleicht wird der Text mal fortgesetzt.
Nur mal eben nebenbei:
Gerade ist es absolut „in“ (z. B. in der Facebook-Gemeinde) Fotos durch einen Art „Nostalgie-Filter“ so aussehen zu lassen, als wären sie in den 60er oder 70er Jahren aufgenommen, d. h. die Aufnahmen sind dann oft etwas überbelichtet und gelbstichig. Dies wird genau von denjenigen durchgeführt, die wohl allein aufgrund ihres Alters, in die Digital-Native-Gruppe gehören müssten.