Auslese: Lukas Bärfuss „Koala“

Es war für den deutschen Buchpreis 2014 nomiert, das schmale Bändchen, das einmal nicht aus einem der großen Publikumsverlage, sondern aus dem Wallstein Verlag in Göttingen kommt. Der Text bekam den Solothurner Literaturpreis 2014 und der Autor ist „eigentlich“ Dramatiker. Auf den ersten Blick also ein paar Besonderheiten, die den Text jenseits des Mainstreams einordnern.

Für den Inhalt trifft dies erst recht zu: Der nur wenige Jahre ältere (Halb-)Bruder des Autors hat sich umgebracht, ein unerwartetes Ereignis, dass nun Literatur wird. Der Bruder war eine Selbstverständlichkeit im Leben des Autors, die Familienbande zwischen ihnen eher locker, das Verhältnis eigentlich distanziert. Der Autor versucht zu ergründen, warum sein Bruder diesen Schritt ging, erforscht seinen eigenen Umgang damit und wie die Umwelt des Toten darauf reagiert. In kurzen, knappen Abschnitten bewegt sich der Autor durch sein Thema, durch das Unfassbare, das denn auch tatsächlich unfassbar bleibt.

Seine Ergründungen führen den Autor schließlich zu der These, dass das Ungeheuerliche der Tat darin läge, dass sich jemand dem Arbeitsethos der Gesellschaft verweigert habe, dass sein Bruder kein funktionierende Rädchen, keine Arbeitsameise gewesen sei und sich in aller Konsequenz nicht nur der ARBEITSgesellschaft verweigert habe, sondern sich letztlich der Gesellschaft  entzog und zwar gänzlich.

Diese These mag ein wenig schweizerisch anmuten, sie gibt dem Autor aber einen grandiose Möglichkeit, denn sein Bruder hatte auch noch einen Pfadfindernamen, er war der titelgebende „Koala“. Der Autor führt uns nun in Windungen und Verschlingungen durch die Kulturgeschichtes des Koalas, der für ihn einfach das TIER an sich ist. Kein Jäger und Räuber, kein schönes Tier, nicht intelligent, sondern einfach nur ein Tier, dass sich selbst genügt, seiner Umwelt nichts gibt und von ihr nichts bekommt. Ein Tier, das alleine den Tag und die Jahrtausende über in einem Baum hängt, nur und ausschließlich Eukalyptusblätter frißt, die für alle anderen Lebewesen tötlich giftig sind. Ein Tier, dass an die Giftigkeit seiner Nahrung herangeführt wird, in dem die Neugeborenen die Scheiße ihrer Mutter fressen – ja, durch die Gleichsetzung mit seinem Bruder wird diese Metapher sehr grob. Ein Tier, das so träge ist, dass es nicht vor seinen Jägern flieht, sondern aus den Bäumen geschüttelt und erschlagen werden kann. Ein Tier, dass für sich eine Nische gefunden hat, in der allein es sein kann und in der es allein sein kann.

Der Autor schreibt seinem Bruder diese Parabel. Typisch für die Menschen, die funktionieren, verarbeitet er den Schock des Selbstmordes durch Arbeit, indem er eben diesen Text über seinen Bruder und den Koala schreibt. Kurz vor Ende des Buches, auf S. 178, resümmiert der Autor, „seine Existenz hatte sich in keine Erzählung gerundet, nichts hatte sich vollendet, kein Sinn sich gezeigt, keine Moral ließ sich schließen aus dem, war er vorgelegt hatte.“ Er schreibt dies obwohl er sich selbst damit Lügen straft, denn schließlich hat Leben und Tod des Bruders zu dem vorliegenden Bändchen geführt, hat der Autor seinem Bruder dieses Denkmal gesetzt und mit seiner parabolischen Erzählung versucht Sinn und Moral in das Geschehen zu bringen.

Ein Buch zu einem schweren Thema, lesenswert und gut.