Sibylle Lewitscharoff: Apostoloff
Für den Lesekreis hab ich diesen Text ein zweites Mal gelesen. Und die Leseerfahrung des ersten Mals wiederholt: es ist dies ein Text, durch den man sich durcharbeiten muss, ein Text, der erschöpft. Weil er in hohem Maß intelligent ist und dies auch vom Leser einfordert.
Lesen muss ja aber auch nicht immer einfach sein. Und wer sich der Mühe unterzieht, der wird belohnt durch einen ungemein dichten Text, der scharf und brillant ist, ätzend in seiner Beschreibung einer Spießerfamilie im Schwäbischen, vernichtend in seinem Urteil über die Kulturlosigkeit Bulgariens und der Bulgaren. Die Autorin darf da ruhig ein wenig pauschalieren und Schubladen benutzen, denn im Text steckt ein gerüttelt Maß autobiographisches – vermute ich jedenfalls. Denn dies garantiert einerseits authentisches Insiderwissen und entschuldigt andererseits manche Spitze durch persönliche Betroffenheit.
Im Prinzip geht es um zwei Geschichten. Da ist zum einen ein skurrilen Trip von Degerloch nach Sofia in einem prunkvoll-luxuriösen Leichenzug und eine anschließende Rundreise durch das Bulgarien in einem schäbigen Lada durch Städte und Landschaften, die höchstens oberflächlich, falls überhaupt herausgeputzt sind.
Und dann ist da der zweite Erzählstrang, die Abrechnung einer Tochter, deren Vater sich umbrachte und die sich verlassen fühlt. Dabei ist es nicht nur der Vater, der sie verlassen hat. Es scheint fast so, wie wenn die Entwurzelung der Emigration auch in der zweiten Generation, ja dort sogar besonders übel zuschlägt. Denn die Emigrantengeneration hatte immerhin noch den Trost des Reichtums, der im fetten Degerloch erworben wurde und ein neureiches Leben mit blonden Frauen erlaubte. Und die Erinnerung an das große Bulgarentum, die schöne Heimat. Die Tochter, die zweite Generation, ist Intellektuelle und enttarnt, entlarvt mit ihrer scharfen Beobachtungsgabe die bulgarische Heimat, die schwäbische Zweitheimat, die schwäbische und die bulgarische Familie, die Familie überhaupt, die dubiosen Umstände der Flucht, den auf zweifelhaftem Weg entstandenen Reichtum, die falschen Fassaden, die überall hochgezogen wurden, die wie orthodoxe Ikonen nur auf dünner Firnis golden glimmern. Allein und ohne Trost ist, wer alles erkennt.
Mein Fazit: lesen!
Zsuzsa Bank: Die hellen Tage
Ein ungewöhnliches Buch. Eigentlich passiert hier ganz viel (ein Kind verschwindet spurlos, ein junger Vater verstirbt, eine alleinerziehende Witwe wird in den 1960er Jahre zu Unternehmerin, eine Artistin flieht aus Ungarn und zieht landstreichend durch Europa …). Beschrieben werden aber keine Handlungen, sondern Stimmungsbilder. In immer neuen Anläufen beschreibt die Ich-Erzählerin das Leben von Aya, Konrad und sich selbst. Gebetsmühlenhafte Wiederholungen. Kaum jemals hat sich eine Ich-Erzählerin derart zurück genommen, wie hier bei Zsuzsa Bank. Sie verschwindet fast im Text. Diese Zurückgenommenheit passt gut zu ihrem Beruf: Übersetzerin. Leider hat Frau Bank den Text übermäßig ausgedehnt. Die Hälfte wäre noch massig genug gewesen. Das soll mir hier nicht passieren. Darum gleich mein Fazit: muss nicht sein.
Eva Menass: Quasikristalle
Auch hier ganz klar eine Leseempfehlung. In 13 Kapiteln umkreist die Autorin die Figur der Xane Molin, die im Wien der 60er Jahre aufwächst und irgendwann in der nahen Zukunft ihm hohen Alter nochmal einen Neuanfang wagt. Gesehen wird sie aus den Augen und in der oftmals verzerrten Perspektive der Menschen in ihrem Umkreis. Jedes Kapitel wird aus der Sicht einer anderen Person geschrieben. Wunderbar, wie sich die Autorin in die verschiedenen Personen eindenkt. Xane gerät dabei oft zu Nebenfigur, so dass sich die Kapitel auch als Kurzgeschichten über die jeweilige Hauptperson lesen lassen. Schön das Einstiegskapitel mit der rebellischen Judith, einer Klassenkameradin von Xane. Am Kapitelende hofft man noch, dass es weiterhin um Judith gehen wird. Aber nein, die Hoffnung wird enttäuscht. Wie überhaupt diese Xane keine klare Kontur gewinnt, nicht gewinnen soll. Eben kein klarer Kristall ist, sondern ein Quasikristall. Der Buchaufbau spielt ebenfalls auf den Titel an, schließlich ist das mittlere Kapitel als einziges aus Xanes Sicht geschrieben, drum rum in unperfekter Symmetrie die anderen Personen und Kapitel.
So: das Fazit steht schon am Anfang.
Uwe Timm: Vogelweide
Hab ich für den Lesekreis gelesen. Will hier dem Gespräch darüber nicht vorgreifen. Kann es mir aber nicht ganz verkneifen: nicht gerade sein Meisterwerk! „Halbschatten“ war viel besser, genauso „Rot“.
Andrej Kurkow: Der Gärnter von Otschakow
Verschlungen hab ich dieses Büchlein. Tja, nette, phantasievolle und phantastische Geschichte. Gute Konstruktion. Das lässt einen auf den Schluss hinlesen. Aber, die Sprache hat mir dann doch sehr zu schaffen gemacht. Hoffentlich liegt es an der Übersetzung, über lange Strecken eine matte Groschenromansprache. Fazit: Wer gern ukrainische Litertur liest, dem ists empfohlen.