Mit „Die Einsamkeit der Primzahlen“ hatte Giordano ein fabelhaftes Debut geliefert. Mit „Der menschliche Körper“ ist ihm ein ähnlich gutes Werk gelungen.
„Was ist eine Familie? Warum bricht ein Krieg aus? Wie wird man Soldat?“ Längst nach dem brutalen Höhepunkt des Buches resummiert eine der Hauptfiguren die zentralen Fragen des Buches, die bei Giordano durchaus zusammenhängen. Eine Gruppe italienischer Soldaten vor, während und nach einem Afghanisten-Einsatz. Wäre alles nach Plan gegangen, hätten sie den monatelange Einsatz eingeigelt in einem Lager verbracht. Es ging aber nicht alles nach Plan. Für jeden einzelnen der kleinen Gruppe, die wir im Text begleiten, ging vorher schon nichts nach Plan, doch das waren Probleme im private Bereich. Während des Einsatzes kommt es absehbarerweise zu einem militärischen Problem. Und nach dem Einsatz dann die Aufarbeitung des Erleben – wieder auf die persönliche Art.
Giordano schreibt schöne Psychogramme und stimmige Soziogramme. Dabei bezieht er die Wechselwirkung der psychischen und sozialen Probleme auf den „menschlichen Körper“ mit ein. Wie reagiert der Körper auf Streß, was passiert mit dem Körper bei Gewalteinwirkungen, wie geht der Körper mit posttraumatischem Streß um? Wer gewinnt im Zweikampf Körper gegen Wille?
Und dann scheint mir da noch die Frage zu sein, was eigentlich „der menschliche Körper“ ist. Ist es wirklich nur der eigene Körper mit Rumpf, Kopf, Extremitäten? Oder sind Menschen zu einem größeren gemeinsamen Körper verbunden? Paare, Familien, Platoons, Armeen zu einem großen „menschlichen Körper“, einem Wesen verbunden?
Kaum einer der Protagonisten wächst einem ans Herz, zu unangenehme manche ihrer Charakterzüge, zu egoistisch ihre Entscheidungen und Handlungen. Manche Leser dürfte Parallelen in seinem sozialen finden, zu Menschen, die ihm unsympathisch sind. Aber, was ist das am Ende des Buches, was geht da im Leser plötzlich vor? Sie ist eben doch da, die Empathie mit Egitto, René, Cederna, Zampieri, Torsu, Ietri und den anderen. Eine starke Leistung des Autors, dass er seine Leser selbst mit manchen Unsympath mitfühlen lässt.